DIE KERNFORSCHER

Portrait: Manfred März Kapitel 2: Man sieht sich immer zwei Mal 11. November 2014

“Mit mir nicht! Ich bin doch keine Gelddruckmaschine…” Walter Freses Kopf war dunkelrot angelaufen. In der Hand hielt er ein Blatt Papier das er schüttelte, als wolle er es so von aller anmaßenden Schändlichkeit befreien. Seine Augen funkelten wütend. “Kruse, was ist das?” Mit schmollend vorgezogener Unterlippe hielt er der heraneilenden Franka die Seite entgegen. Franka brauchte einen Moment, um den vor ihr flatternden Text zu entziffern: “Eine Rechnung?” “Das können Sie aber glauben, Kruse!” Er ließ das Blatt verächtlich zu Boden fallen. Und Franka hob es auf.

“Die wollen doch glatt über 7000 Euro Vorschuss für das bisschen Kabel verlegen und Lampen aufhängen…” Es hätte noch gefehlt, dass Walter mit dem Fuß aufstampfte. “7000 Euro! Vorschuss! Verstehen Sie? Da kommt später noch was drauf. Ich glaub ich spinne! Das hätte ich auch allein geschafft. Diese Räuber! Betrüger! Ich werde gleich mal da runter gehen und…” “Aber Herr, Frese…” Franka legte die Rechnung der Handwerker behutsam auf Walters Schreibtisch ab. “Die Herren da unten haben eine komplette Bühne gezimmert, sich mit den Technikern herum geschlagen und das gesamte Foyer hergerichtet. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein anderes Unternehmen günstiger…” Doch Walter Frese war schon Richtung Fahrstuhl davon. Keine Chance ihn zu bremsen. Franka atmete tief durch. “Achtsamkeit für alle!” dachte sie. Dann ging sie zurück zu ihrem Arbeitsplatz und dem wartenden Kaffee.

8:02 Uhr. Noch war genug Zeit, aus dem Tag einen Erfolg zu machen.

Manfred März hatte seine Jacke und die Ersatzhemden in die Garderobe gebracht, die Ledertasche abgestellt und saß nun am Schreibtisch. Nicht einmal eine Tür konnte man hier hinter sich schließen, um sich mal zurück zu ziehen. Er schaute sich um, doch kein Kevin und keine Kamera weit und breit. Das hier war nichts für ihn und von Tag zu Tag wurde ihm unbehaglicher. Ausgerechnet er sollte nun am Abend vor die Kamera treten und ihr neues Angebot vorstellen. Ein Angebot, das ihm auch nach Wochen so was von unreal, nicht griffig oder technisch nachvollziehbar erschien. Er war ein Mann des gedruckten Wortes. Er konnte Zeitschriften. Er wusste wie man den Laden schmeißen musste, um am Ende des Monats ein Produkt in den Händen zu haben, das man in die Kioske bringen, das von Menschen angefasst, gekauft, gesammelt, getauscht oder letztlich in den Papiermüll befördert werden konnte. Das war die logische Kette. Das war das Konzept, das viele Jahre funktioniert hatte. Das ihn ernährt hatte, seine Frau, seine Kinder, ihr Eigenheim, den Urlaub, das ganze Leben… Doch das hier?

Manfred sah sich noch mal um, dann flüsterte er leise vor sich her, wobei er die unterstrichenen Worte betonte: “WIR denken… Nein… WIR Medien… Ach. WIR denken Medien NEU! Bei uns ist der Leser nicht nur Empfänger der Botschaft, sondern … Hauptakteur. YNN ist die ZUKUNFT. Denn bei uns verschmelzen sich RELEVANZ und EXKLUSIVITÄT im…”

Er hielt inne, nahm er einen roten Stift und begann zu streichen: “Hauptakteur? So ein Unfug. Bridge was hast Du Dir bloß dabei gedacht… Wir geben doch nicht das Heft aus der Hand und lassen dann Krethi und Plethi unseren Job machen.” Dann kratzte er sich eine Weile mit dem Stiftende erst am Kinn. “Hm..” Dann an der Wange “So geht das nicht” Dann hinter dem Ohr: “Exklusivität? Das klingt doch nach Boulevard. Nein! Auf keinen Fall! Qualität,… die setzt sich durch. Und nichts anderes!” Er strich den ganzen Passus durch, griff zum Telefon und wählte James Nummer: “Lieber Bridge, kommen Sie doch bitte mal kurz zur Garderobe” Er schaute über einige Tische hinweg und sah, dass James seinerseits zu ihm herüber blickte. “Ach was mach ich hier denn…” grummelte er, schmiss den Hörer auf die Station zurück und zeigte James, wo er sich mit ihm treffen wollte.

Die Garderobe war ein länglicher dunkler Raum, an dessen Wänden einige Kleiderhaken angebracht waren. Überall standen Kisten herum, in denen Büromaterial lagerte. In der Ecke stand ein kleiner, abschließbarer Metallschrank. Manfred und Franka waren die einzigen die Schlüssel besaßen. Doch während der Arbeitszeit war nicht zugesperrt und so kam es vor, dass sich kleine Grüppchen hierher verzogen, um Vertrauliches zu besprechen. Als Manfred den Raum betrat und das Licht einschaltete huschten ihm zwei Praktikanten entgegen: “Wir waren, ähm äh… Material holen.” Seltsamerweise hielt aber keiner von ihnen was in den Händen.

“Ist schon gut. Weitermachen!” Manfred März hatte wirklich keine Zeit für so was. Ihm saß das Ganze zu sehr im Nacken. Der Abend, das neue Büro, sein noch nicht wirklich definierter Aufgabenbereich, seine Frau, die Kinder… Ach, wäre bloß schon morgen. Dieser Text vom Bridge der ging zu weit. Das war er nicht. Das war nicht Manfred März. Er hatte sich zwar angeboten, am Abend vor die Presse zu treten und sich sogar dabei filmen zu lassen. Aber diese ganze Sache fühlte sich so seltsam, so eigenartig anders und ungewohnt an, dass er einfach nicht warm damit wurde.

“Was gibt´s?” James Bridge steckte seinen Kopf zur Tür herein. “Kommen Sie und machen Sie die Tür hinter sich zu!” In März Stimme lag mal wieder ein leiser Anflug von Hysterie, von dem James gehofft hatte, ihn nie hören zu müssen. “Ich sitze noch am Presse-Kit für die Journalisten und an der neuen Textfassung…” nahm er Anlauf. “Ja, gerade darüber muss ich mit Ihnen sprechen…” Manfred merkte, wie sich dieses verfluchte Magengrummeln wieder breit machte – da halfen auch die neuen Pillen nicht – und davor hatte er wenigstens genau so viel Angst, wie vor der ganzen Geschichte hier. “Bridge, mein lieber Bridge… ist das wirklich Ihr Ernst?” Von der Zumutung die ihm hier widerfuhr überwältigt wich er ein paar Schritte zurück und ließ sich plumpsend auf einem riesigen Karton mit Schreibpapier nieder. Fehlte nur noch, dass er sich mit dem Redeskript Luft zufächerte.

“Das können Sie mir doch nicht antun! Wie häufig haben Sie diesen Text schon geändert?” zischte Manfred, wobei er übertrieben fragend zu James herüber blickte. “12 Mal. Aber Sie sagten doch…” “Ja, aber verstehen Sie denn nicht, dass es so nicht funktioniert? Wir wollen hier eine frische, neue Idee präsentieren…” “So neu ist die nun auch wieder nicht”, James war etwas genervt. “Egal. Ich meine ja nur… Wir haben da was Neues in der Entwicklung. Ihre Web 3.0-Sache. Ganz prima. Wunderbar. Aber soll wirklich ich das präsentieren? Ich bin über 50! Das nimmt mir doch keiner mehr ab…”

James zögerte etwas. Jetzt nur nichts Falsches sagen… Er überlegte laut: “Herr März. Das sehen Sie vielleicht so. Aber viele Jahre lang waren Sie unser Chef. Haben den Zuchtstier bei den Hörnern gehalten und ausgezeichnete Arbeit gemacht. Es geht hier nicht darum, dass die Idee von einem Hipster-Nerd präsentiert werden muss, um erfolgreich zu sein. Hier ist Medienkompetenz gefragt, sonst könnt das Ganze ja auch der Schmidt machen…” “Aber eben auch mehr technisches Verständnis…” gab Manfred zurück: “Ganz im Vertrauen, Bridge, ich weiß bis heute noch nicht, was Sie und der Schmidt mir da erzählen…” Schweigen.

“Was jetzt? Wir können doch jetzt nicht bis heute Abend hier drinnen bleiben” James flüsterte, vom Manfred angesteckt, obwohl garantiert niemand im großen Newsdesk sie hören konnte.

Manfred März legte die Stirn in Falten und tat, als würde er angestrengt nachdenken. Dabei hatte er bereits auf dem Weg hierher einen Schlachtplan entwickelt. “Wir brauchen Verstärkung. Einen Vollprofi. Ich kenne da jemanden…” James riss die Augen auf. “Wie bitte, heute Abend geht´s um die Wurst und Sie wollen das Team erweitern? Woran fehlt´s denn?”

Die Anzahl der Falten auf Manfreds Stirn nahm noch zu: “Wir brauchen einen Kommunikator. Einen der weiß, wie man die Leute um den Finger wickelt!” James war baff. Das hatte er nicht erwartet: “Aber,… aber ICH bin für die Kommunikation zuständig. Was glauben Sie denn, was ich hier die ganze Zeit mache?” Manfred hob beschwörend die Hände: “Ja, das ist auch gut. Aber das reicht eben nicht. Ich brauche mehr Sicherheit. Und glauben Sie mir, dass ich Ihnen das hier jetzt erzähle, sagt schon alles. Sie machen wirklich eine ausgezeichnete Arbeit, aber….”

James konnte es nicht fassen: “Na, dann machen Sie mal… Aber wir sprechen alles vorher ab. Der Tag ist viel zu wichtig für uns alle, um jetzt ein personelles Wagnis einzugehen. Außerdem müssen Sie an Frese denken, der jammert mittlerweile jedem Euro hinterher. “ James konnte nichts weiter sagen. Er brauchte jetzt erst mal frische Luft.

“Ich habe da einen Freund von der Uni im Kopf. Der wird uns nichts kosten…” Manfred war nicht sicher, ob James das noch gehört hatte. In diesem Moment nahm er sich vor, erst einmal keinem mehr von seinen Plan zu erzählen.

08:12 Uhr

Niemand schien etwas von ihrer Unterhaltung mitbekommen zu haben, deswegen ging Manfred schnurstracks zu seinem Schreibtisch. Er suchte im Internet eine Telefonnummer heraus, notierte sie auf einem Zettel, fischte sich das Handy aus der Aktentasche (er hatte sich nach langer Diskussion von Kevin Schmidt dazu überreden lassen) und ging, in leicht geduckter Haltung, zum Fahrstuhl. Dieser war gerade auf dem Weg nach unten. “Bridge, sie Ignorant!” dachte er. Soweit hatte er sich noch nie einem Mitarbeiter geöffnet.

Endlich kam der Fahrstuhl und Manfred fuhr nach unten. Er ging zur Tür und nach draußen. Irgendwo im Foyer, das sah er aus den Augenwinkeln, war Walter Frese in eine heftige Diskussion mit den Handwerkern und Technikern verstrickt. Die Stimmung schien nicht gut. Aber das war ihm gleich. Er musste jetzt einen alten Freund erreichen.

08:57 Uhr

Kevin Schmidt stand in der Küche und griff sich ein Club Mate. Das Dritte schon. Er musste aufpassen, dass ihn das Koffein nicht umhaute, aber er brauchte das jetzt. Er war richtig gehend sauer, dass konnte jeder sehen, der ihm zu nahe kam. Mit der Flasche in der Hand ging er zum kleinen Flurbereich vor dem Fahrstuhl, um wieder nach unten zu fahren. Die Kamera hatte er sich umgehängt. Am liebsten wollte er der ganzen Stümpertruppe aus dem Weg gehen. Seit einiger Zeit schon hatte er aber das Gefühl, dass ihn ein Schatten verfolgte. Diese Asiatin, die alles im Januar verbockt hatte. Andauernd war sie in seiner Nähe, nervte mit unsinnigen Fragen und lächelte permanent. Und genau das machte ihn erst richtig rasend. Denn seit dem Fiasko bei der Präsentation damals, hatte er sich das Lächeln abgewöhnt. Nachhaltig. Lächeln war was für Weicheier. So viel war ihm jetzt klar.

Hoffentlich würde die Chinesin ihn nicht vor der Fahrstuhltür abfangen. Er war ihr unten im Foyer gekonnt ausgewichen und hatte sich erst mal nach oben gerettet. Kevin wartete und sah zur rot leuchtenden Fahrstuhlanzeige: 1 Stock. 2. Stock. 3 Stock. “Mensch, das dauert…” knurrte er. 4. Stock. 5. Stock.

Endlich hielt der Fahrstuhl. Kevin konnte schon von außen sehen, dass jemand darin war, doch als sich die Tür öffnete fiel er fast nach hinten über: Vor ihm stand ein älterer Herr mit zurück gegeelten Haaren und einem Spitzbart. Er trug ein augenscheinlich teures blaues Jackett – mit einer goldenen Knopfreihe, aus dessen Tasche ein rosa Einstecktuch hervor lugte, einen breiten hellroten Schlips, eine rote Hose und orange-braune, handgenähte Schuhe. Sein Gesicht war dunkel bis sehr dunkel gebräunt und sein Mund zeigte zwei Reihen überdimensionaler, weiß gebleachter Showmoderatoren-Zähne. Eine Wolke süßlichen Parfumduftes schlug Kevin entgegen.

Nach einer Schrecksekunde hatte dieser die Fassung zurück gewonnen: “Äh, ich glaube Sie sind hier falsch… Sie wollen sicher zu der Versicherung im Achten…” Doch der Mann trat aus der Fahrstuhlkabine, ging auf ihn zu und ergriff seine Hand um sie kräftig zu schütteln: “Hier residiert doch YNN, mein junger Freund?” Der Mann brachte es fertig noch mehr von seinen weißen Zähnen zu zeigen… “Kevin, nicht wahr? Ich habe schon viel von Ihnen gehört.” Der Mann ließ seine Hand nicht wieder los und Kevin war, als wenn eine seltsame, feuchte Wärme von ihm Besitz ergriff.

“Ich bin Ricardo Santoni. Ihre Rettung, mein junger Freund!” und ohne die Hand loszulassen, ging der Mann weiter in das Büro hinein, so dass Kevin sich vorkam, wie ein Schüler an der Hand eines Verkehrslotsen.“ Ich suche Herrn März, mein Junge. Kannst Du mich schnell zu ihm bringen? Wie ich höre, gibt es einiges zu tun…Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus!”

Und so gingen die beiden Hand in Hand in die Redaktion hinein. Kevin hätte fast seine Flasche fallen lassen und zum ersten Mal setzte er, und dieses Mal gar nicht freiwillig, sein altes Grinsen wieder auf.

 

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Kapitel 2: Man sieht sich immer zwei Mal November 11, 2014

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