Kapitel 12: Rettung in letzter Sekunde? 5. Mai 2015
“Ich habe es Frau März schon gesagt: Er braucht unbedingt Ruhe und darf sich nicht aufregen. Könnten Sie auch ein bisschen auf ihn achten?”, der Sanitäter hatte Franka an der Fahrstuhltür beiseite genommen, flüsterte und sah sehr ernst aus. “Sie haben gut reden. Er lässt sich ja nichts sagen”, gab sie zurück und machte ein ebenso sorgenvolles Gesicht. “Versuchen Sie´s. Und wenn was ist: Hier ist unsere persönliche Durchwahl. Wir haben noch die ganze Nacht Dienst”, beruhigte sie der junge Mann. Der Fahrstuhl kam und mit ihm Gregor Lennart, der Chef der kleinen Handwerkertruppe, die unten im Foyer des Bürokomplexes eigens für diesen Abend eine Bühne aufgebaut hatte: “Es ist kurz vor sechs. Wir wären so weit. Unten wird es langsam voll. Wollen Sie den Sound noch mal abnehmen?”
Lennart hatte die ganze Zeit über mit einem eher rumpligen Charme geglänzt, wann immer er mit Franka gesprochen hatte, doch jetzt lag fast etwas Wohlwollendes in seiner Stimme. Er war merklich stolz und seine gnädige Milde signalisierte, dass er nun gelobt werden wollte. “Wunderbar Herr Lennart. Dann kann´s ja losgehen. Was den Soundcheck betrifft, da vertraue ich Ihnen vollends. Aber es wäre schön, wenn Sie in der Nähe bleiben…”.
17:55 Uhr.
Franka lief zu ihrem Schreibtisch. Just in diesem Moment schrillte im gesamten Raum die Alarmfunktion der Bürosoftware: “Ding Dong! Ding Dong! Ding Dong!” – nicht nur sie erschrak. Noch fünf Minuten und jemand würde nach unten gehen müssen, um sich den Journalisten zu stellen. Trubel entstand. Alles bewegte sich noch etwas schneller. Franka schaute zur Monitor-Wall. Zum Glück hingen die Bildschirme an der Wand und funktionierten. Kevin Schmidt hatte sich zusammengerissen und ohne weiteres Murren daran gemacht, den Praktikanten beim Aufhängen zu helfen. Es hatte keine zehn Minuten gedauert. Warum nicht gleich so?
Sie sah Walter, der gerade auf die Uhr schaute, sich aber nicht aus der Fassung bringen ließ. Er stolzierte zwischen den Tischen umher und versuchte die Mitarbeiter zu beruhigen, was zwar nicht gelang, aber ein gutes Signal war. Franka griff nach ihrer Schneekugel und schüttelte sie. Für den Bruchteil einer Sekunde versank sie im Schneegestöber und musste an den außergewöhnlichen Tag im Januar denken, an dem die Geschichte begonnen hatte. An den Stress, den sie sich alle gemacht hatten, an das Meeting mit den Vertretern des Mutterkonzerns ihres Expertenverlages, muqin hao. Alle hatten angenommen, sie seien gekommen um sich die neuen Pläne für die Redaktion des Zuchtstier zu besprechen. Dabei war die Abwicklung der Redaktion schon lange beschlossene Sache gewesen. Sie erinnerte sich an den rettenden Auftritt von James und den Abend, an dem sie ihren aberwitzigen Plan für YNN entworfen hatten. Alles das verdichtete sich in dieser Glaskugel mit dem kleinen Pinguin und seiner lustigen Mütze.
Franka ging zu ihrem Vater hinüber, der in einer Zeitschrift blätterte. Anabel, auf seinem Schoß, schlief tief und fest. “Und? Wie geht es Euch?”, wisperte sie in Jims Ohr. “Alles in Ordnung. Ich glaube das Schlimmste hat sie hinter sich. Aber jetzt solltest Du mal an Dich denken. Komm min Deern rangerauscht und nicht gezittert!”, gab er lächelnd zurück. Beide waren vorhin mit Georgia gekommen, die jetzt Mary und Mingfei in der Küche zur Hand ging. Georgia hatte ihr ebenfalls gut zugeredet – und um ehrlich zu sein, konnte Franka das im Moment gut gebrauchen. “Dann bis später”, sie tätschelte ihrem Vater kurz die Schulter, schnaufte einmal tief durch und eilte weiter zu Manfred.
Dieser hatte sich tatsächlich aufgerafft und stand, etwas wackelig, bei seiner Frau, die ihm gerade die Krawatte richtete. Währenddessen las er in seinem Redeskript. “Sie wollen doch nicht wirklich nach unten gehen?”, erkundigte sich Franka, obwohl das offensichtlich war. “Oh doch, oder haben Sie eine bessere Idee?”, seine Stimme klang müde und trotz des neuen Hemdes sah er kläglich aus. “Ich flehe ihn schon die ganze Zeit an, mit nach Hause zu kommen. Könnte nicht Herr Bridge für ihn einspringen?”, Ginger März hatte Tränen in den Augen, doch Manfred wich ihrem Blick routiniert aus: “Papperlapapp. Versprochen ist versprochen. Das ziehe ich durch”, Manfred bemühte sich, seine alte Autorität zurückzugewinnen, doch war er weit entfernt davon. Einer der Zwillinge äffte ihn nach, ohne von seinem Handy hochzuschauen: “Papperlapapp”. “Du bist sofort still, Julian!”, keifte Ginger ihn an.
“Noch zwei Minuten. Ich hole jetzt James, der noch mal an Ihrem Script feilen wollte…”, hob Franka an. “Noch mal? Das ist dann die achte oder neunte Version. Jetzt ist bald mal Schluss. Ich bin froh…”, es zuckte in Manfreds Gesicht, “… wenn ich diesen Text fehlerfrei rausbringe. Wo ist eigentlich der Schmidt? Der wollte doch alles filmen. Und sind die Journalisten schon da?” “Herr Lennart kam gerade nach oben und meinte, das Foyer fülle sich bereits. Wir sollten sie also nicht zu lange warten lassen. Und nach Schmidt schaue ich jetzt mal”, Franka nickte Manfred aufmunternd zu. Heimlich signalisierte sie Ginger im Gehen augenrollend, dass sie gar nicht einverstanden war mit Manfreds Entscheidung. Dann hastete sie in Richtung Monitor-Wall.
Zum Glück musste sie sich nicht auch noch um das finanzielle Chaos kümmern. Frank Schlechter, der ehemalige Buchhalter der Zuchtstier-Redaktion hatte zwar beim YNN-Konzept gekniffen, dem Team damals aber seine Hilfe angeboten: ”Falls gar nichts mehr geht…”. Und als James ihn vorhin am Telefon eindringlich darum bat, war er gekommen, hatte einen raschen Blick auf die Zahlen geworfen, lange mit Walter gesprochen und ihm zum Abschied sehr heftig die Hand geschüttelt. Ob er wohl zurückkehren würde?
Kurz dachte Franka an Frau Janssen, ihren Joker, den sie aber noch nicht ausspielen wollte.18:00 Uhr.
Jetzt gab es kein Zurück mehr. Auf dem Weg zur Wall schloss sich ihr James Bridge an: “Ich habe den Text nochmal überarbeitet. Ich glaube…”. “Lieb gemeint, aber lass es. Ich denke, dass wir März nicht noch weiter aus dem Konzept bringen sollten. Der ist komplett fertig. Und sag mal…”, sie griff nach seiner Hand und hielt ihn kurz zurück. In seinen Augen flackerte Unsicherheit. “Ja? Wegen der Garderobe?” “Nein! Spinnst Du? Das muss warten. Lass uns später darüber reden… Nein ich meine, wenn März das nicht durchsteht, könntest Du dann vielleicht…?” Sie sah ihn fragend an. “Wie? Ich? Ich soll da runter?”, James wurde kreideweiß. “Ja, Du kannst doch so gut reden und außer Dir kennt keiner den Text…”, Franka lächelte und in ihrem Lächeln lag mehr als nur eine Bitte um um einen Gefallen. “Ich weiß nicht…”, zögerte James. Irgendjemand schaltete den Lautsprecher des Monitors an der Wand ein. Es knackte und dann hörte man die Stimme eines Reporters. Es lief ein WebTecTV-Channel der ständig Nachrichten aus dem Internet-Business brachte.
“Hmm, ich weiß nicht… ich…”, James wollte noch mal ansetzen, als einer der Praktikanten angelaufen kam, den Mund weit aufgerissen und krächzend in Richtung Monitor-Wall wedelte. Immer mehr Leute sammelten sich dort. Sogar die Fenster-Kings hatten sich Sandwiches geschnappt und sahen zu – in ihrer Nähe Mr. X, der jede ihrer Bewegung genau beobachtete. “Ja, danke für´s Aufbauen”, wollte sich Franka bei ihm bedanken, bis sie begriff, dass es ihm gar nicht darum ging. Jetzt kam noch eine Praktikantin herbeigerannt. Mit schreckstarren Augen rief sie immer wieder: “Míngri! Míngri! Míngri!”. Dann lief sie zurück.
Franka verstand die Aufregung nicht. Sie wollte gerade damit beginnen, James noch einmal zu bearbeiten, als der Tumult anschwoll. Vor der Garderobe sah sie nun Kevin stehen, der in eine heftige Unterhaltung mit Mingfei verwickelt war. Sie konnte es nicht genau erkennen, doch Mingfei schien fürchterlich zu weinen.
Manfred März stürzte herbei. Im Schlepptau Ginger und die Twins. Auch Mary und Georgia kamen und stellten sich mit ratlosen Mienen dazu. Der Letzte war Walter, der – noch immer grinsend – wohl dachte, dass nun der schöne Teil des Tages beginnen würde. Was für ein Irrtum!
Franka versuchte zu verstehen, worum es ging. Es hatte mit den News auf den Monitor zu tun. Eben gerade wurde ein junger Asiate interviewt, ein Lian Li. Was er sagte, konnte sie vor lauter Stimmengewirr nicht hören. Der Praktikant von eben drängelte sich nochmal zu ihr durch: “Das ist das Ende!”. Dann war er wieder weg. “Was ist denn los? Müssen wir nicht langsam nach unten? Die Cocktails sind auch schon fertig…”, wollte Mary von ihr wissen. “Ich weiß nicht,… es sei das Ende, meinte Rudy gerade?”, gab sie verwirrt zurück. “Rudy, der Praktikant mit dem großen Bart?” “Ja”. Mary ging auf Walter zu und flüsterte ihm die Neuigkeit ins Ohr. Walter erschrak, quetschte sich dann durch die Leute zu Manfred und redete auf ihn ein. Doch dieser zuckte nur mit den Schultern. Er sah gequält aus: “Ruhe!” schrie er dann. Und noch mal: “Sofort leise – alle!” Die Menge verstummte, so dass sie die letzten Worte von Lian Li hören konnten.
“Ja, das glaube ich auch, Mike. Das wird eine ganz große Sache. Wir haben eben alles unter Dach und Fach gebracht und schon morgen gehen wir an den Start”, verkündete er mit steifem Grinsen in die Kamera. Erst jetzt sah Franka die Bauchbinde auf dem Bildschirm, auf dem gerade ein Text eingeblendet wurde:
“MNN – Míngri Network News: Say what you want – when you want – where you want!”.
Sie begriff nicht. Dann hörte sie wieder den Reporter: “Der chinesische Konzern Míngri investiert 10 Millionen US-Dollar in ein deutsches Startup. Míngri Network News soll, so der Europachef Lian Li, noch diesen Monat in die Testphase gehen und ein kollaboratives Format werden, das ganz neue journalistische Maßstäbe setzen wird. Das wird eine große Sache Leute. Verantwortlicher Projektleiter wird übrigens er hier…”
Der Bildschirm wurde kurz dunkel, dann tauchte das Foto eines grinsenden, blonden Wuschelkopfes mit Brille auf. Totenstille. Nur ein unterdrückter Schrei von Mingfei war zu hören.
“Das kann doch nicht,… das ist doch, wie soll denn, aber ich…”, alle Köpfe wandten sich jetzt zu Manfred, der auf den Bildschirm starrte und eben zu realisieren schien, dass sie niemand geringeres als ihr Kevin Schmidt von dort oben keck anfeixte. Manfred griff nach seinem Krawattenknoten und versuchte ihn zu lösen. Doch weit kam er nicht. Er ging einfach zu Boden. Mit einem Ächzen knickte er zur Seite weg. Als sein Kopf auf einer der weißen Tischplatten aufschlug, gab es ein gefährliches Krachen und Knirschen. Sofort war Walter Frese bei ihm. Er zog sich sein Jackett aus und legte es dem Bewusstlosen unter den Kopf. Dann trugen er und James ihn zu seinem Sofa. “Einen Arzt. Sofort! Holt einen Arzt!”, schrie Ginger und erst jetzt schienen alle aus ihrer Starre zu erwachen. Franka rannte zu ihrem Schreibtisch, in der Hand noch immer die Schneekugel. Erst griff sie nach der Karte des Sanitäters und dann zum Telefon.
Wenn man meint, dass dieser Tag hektisch begonnen hatte, voller Tumult weitergegangen und eben in ein Chaos eingemündet war, dann braucht man wohl ein kräftigeres Wort, um das zu beschreiben, was die nächsten fünf Minuten folgte. Es war ein Desaster! Wie ferngesteuert hatte Franka erneut den Arzt gerufen. Die Menge vor der Monitor-Wall – auf dem Bildschirm lief anscheinend noch eine Wiederholung der Míngri-News – hatte sich aufgelöst und alle rannten ziellos im Raum herum. Alle bis auf Manfred, der sein Bewusstsein noch nicht wiedererlangt hatte. Franka war im Nu umringt von sämtlichen Praktikanten, die sie erstmal beruhigen musste: “Bitte keine Panik jetzt. Wir haben unten das Foyer voll mit wartenden Journalisten. Wenn Ihr wirklich helfen wollt, dann versucht Ruhe in die Situation zu bringen. Macht Euch nützlich so gut es geht. Ich werde in einer Minute was ansagen”. Dann suchte sie im Getümmel nach James.
Sie fand ihn vor der Küche. Er hatte Kevin an beiden Schultern gepackt und brüllte auf ihn ein: “Shit, Mann. Glaubst Du kleines Arschloch etwa, dass Du damit durchkommst? Ich fasse es nicht! Während wir hier alle mehr oder weniger ehrenamtlich arbeiten, verkaufst Du mal eben unser Konzept an die Chinesen? Gerade an die! Nach allem, was die bei muqin hao mit uns abgezogen haben? Du fieser Verräter!” So zornig hatte Franka James noch nie gesehen. Kevin versuchte in Erwartung eines Übergriffes mit der freien Hand sein Gesicht zu schützen. Eine seiner flotten Antworten hatte er diesmal nicht parat. “James!”, Franka schrie so laut sie konnte, doch drang sie nicht zu ihm durch. “Das ist ein Verbrechen! Weißt Du das? Du schleimiger, mieser, glatter, glitschiger…”, James Adern am Hals traten hervor… “James! Stop! Sofort!”, Franka wusste sich nicht anders zu helfen, als ihn am Kragen zu packen und so heftig sie konnte zu schütteln. Fast wäre James auf sie losgegangen, so sehr war er in Rage.
“Das können wir jetzt nicht mehr ändern. Aber einer von uns muss jetzt nach unten. Es ist fast zehn nach Sechs und wir haben den Laden voll!”, versuchte sie James wieder auf das Wesentliche zu lenken. “Wie?”, James stutzte, ließ Kevin aber nicht los. “Die PRESSEKONFERENZ!”, Franka hätte losheulen können, aber das war jetzt nicht dran. “Gehst Du?”, endlich gab James Kevin frei, der am ganzen Leib zitterte. “Ich?”, donnerte James sie an. Sofort merkte Franka, dass das keine gute Idee war. “Gut, dann mach ich es, ich werde…” In diesem Moment stürmte Walter herbei. Er machte dabei ein Getöse wie eine Einmann-Büffelherde. Ohne abzubremsen steuerte er geradewegs auf Kevin zu und… schlug ihm mit voller Wucht auf die Nase. Wie ein Brett, jetzt wieder grinsend, fiel Kevin hinten über und landete krachend auf dem Boden: KO.
“Danke, Frese, danke!” James zeigte echte Bewunderung für Walter, der sich seine rechte Hand rieb. In einigem Abstand stand Leslie Mingfei Schneider. Ihre Wimperntusche hatte schmierige Rinnen durch ihr Makeup gezogen und war dann rabenschwarz auf die neue weiße Tracht getropft. Sie schniefte noch immer.
18:14 Uhr.
Franka hatte die Praktikanten gebeten auszuschwärmen, um die gesamte Belegschaft vor der Monitor-Wall zu versammeln. Wenn ein Schiff unterzugehen droht, dann heißt es für den Kapitän alle Notmaßnahmen einzuleiten. Nur gab es keinen Kapitän mehr. Alle Männer waren sichtbar aus der Bahn geworfen. Und keine der Frauen kannte sich mit der Materie aus, geschweige denn würde sich in dieser Situation einer Gruppe gelangweilter Journalisten stellen. Blieb nur eine übrig: Sie! Also stellte sich Franka auf den Tisch, an dem noch immer Manfreds Blut klebte und winkte mit beiden Armen die Leute herbei. Es schleppte sich etwas. Genug Zeit, um aus den Augenwinkeln wahrzunehmen, dass etwa in der Mitte des Raumes plötzlich Wasser von der Decke tropfte. Doch egal. Jetzt brauchte sie ungeteilte Aufmerksamkeit.
“Also”, fing sie an und schaute in die Runde. Der Raum glich einem Schlachtfeld und das Team einer vernichtend geschlagenen Fußballtruppe. “Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir vergessen das Ganze hier und sagen die Pressekonferenz ab, oder… mach doch mal einer den Bildschirm da oben aus!” Ihre Stimme gewann Energie: “Oder, wir handeln wie ein Team. Wir haben jetzt so lange hart gekämpft und was ist das Resultat? Zwei Bewusstlose in einem Newsroom – noch bevor wir auch nur einmal News gemacht haben”, manche schauten sich neugierig um. Kevins Knock Out hatten wohl noch nicht alle mitbekommen…
“Ich bin für die zweite Variante. Ich habe keine Lust, nach so vielen mühevollen Wochen, einfach mit hängenden Schultern davonzuziehen. Ihr etwa?” Keine Antwort. “Dann lass sie doch unser Konzept klauen. Lass sie Millionen hineinstecken. Lasst Herrn Schmidt abziehen – sofern er erstmal wach ist – mir ist das schnuppe. Wir haben es einmal geschafft. Wir haben gelernt. Wir schaffen es wieder! Dann machen wir eben ein neues, noch besseres Konzept!” Die Leute schauten sich erst verdattert gegenseitig an, dann zu den beiden Sanitätern, die sich mit ihrer Bahre einen Weg durch die Menge bahnten, um den langsam erwachenden Manfred abzuholen.
“Solche Dinge passieren. Und ich weiß selbst, dass es hart ist, wenn es einen trifft. Man fühlt sich überrumpelt, verletzt und aller Kraft beraubt. Doch eins will ich Euch sagen…”, Franka hörte ihr Herz schlagen, “… auch wenn mich dieser Moment sehr an den Tag vor ziemlich genau drei Monaten erinnert, als James Bridge uns gut zureden musste. In einem Punkt unterscheidet er sich: Wir alle hier sind zu einem echten Team zusammengewachsen. Vielleicht habt Ihr es noch nicht bemerkt, denn so was geschieht nicht laut, nicht mit viel Getöse, sondern still. In dem Moment, wo wir beginnen über uns hinauszusehen. Wenn wir beginnen, das Größere zu bemerken, wenn wir damit anfangen, aufeinander achtzugeben. Ich muss Euch gestehen, ich habe das auch erst in den letzten Tagen wirklich begriffen…”
“Sollen wir den da hinten auch untersuchen?”, unterbrach sie der junge Sanitäter von vorhin. “Herrn Schmidt? Ja machen sie das. Und am besten nehmen sie ihn gleich mit…”. Walter Frese prustete. Leslie Mingfei schnaubte in ein rosa Taschentuch.
“Wollen wir weitermachen? Was meint Ihr?” Franka schaute auffordernd in die Runde. Jetzt erst begriffen sie, dass ihre Meinung gefragt war. Dass es in ihrer aller Verantwortung lag. “Wenn ja, dann gehe ich nach unten und erzähle den Journalisten, was passiert ist. Kein Marketing-Sprech mehr, keine Lügen, nur die Wahrheit!” Walter war der erste, der reagierte: “Ja Franka, gehen Sie! Ich komme mit!” Mary, die neben ihm stand, drückte ihn fest an sich. “Wir kommen alle mit!”, rief jetzt James. “Wir sind auch dabei, Frau Kruse!”, rief jetzt Rudy, der bärtige Praktikant und die anderen Praktikanten nickten. “Du schafft das, meine Große!”, Jim stand unten, neben dem Tisch, und neben ihm die kleine Anabel die wie wild auf der Stelle hüpfte: “Ja, Mami, Du schaffst das!” Immer mehr fielen in den Chor mit ein und sprachen sich gegenseitig Mut zu. “Ich will auch mit…” hörte man Manfred, der auf der Bahre an ihnen vorbei getragen wurde aufstöhnen. “Du bleibst wo Du bist”, Ginger ließ keinen Zweifel aufkommen, dass für ihn die Show für heute vorbei war.
“Gut, lasst uns in die Höhle des Löwen gehen!”, rief Franka. Dann fiel ihr die Schneekugel ein, die sie noch immer mit einer Hand fest umklammert hielt: “Schaut mal, die Schneekugel!” Sie hob sie hoch in die Luft und schüttelte sie so heftig sie konnte. “Manchmal geht es einem wie dem Pinguin hier”, Franka musste lachen und Tränen der Freude liefen ihr die Wangen herunter: “Manchmal ist das Leben wie in einer solchen Schneekugel. Man sieht nicht, wie es weiter geht und irrt orientierungslos herum. Doch einen Augenblick später legt sich das Gestöber und alles liegt klar und deutlich vor einem. Nur muss man wohl erst mal alles heftig durchschütteln. Ich sage Euch, wenn sich der Sturm erst gelegt hat, kommt etwas Neues. Und zwar etwas viel besseres, als wir alle dachten!”
“Mami hat die Kugel geschüttelt! Mami hat die Kugel geschüttelt!”, rief nun Anabel ganz aufgeregt. “Ja das hat sie…”, sagte Jim sanft, nahm das Mädchen auf die Arme und drückte ihr einen liebevollen Kuss auf die Stirn.
Kapitel 12: Rettung in letzter Sekunde?