Kapitel 11: Endlich 8. April 2014
James Finger waren fast steif gefroren. Obwohl der eisige Wind etwas nachgelassen hatte, fiel immer neuer Schnee. Als wenn man da oben die winterkurzen Jahre wieder gut machen wollte. James war nun auf der Altonaer Straße und hatte noch ein gutes Stück des Weges zurückzulegen. An der Bushaltestelle stand eine große Menschentraube, weitaus mehr als man mit den nächsten fünf Busfuhren bewältigen konnte. Keine Chance. James ging weiter.
Er ärgerte sich – über Kevin. Und das gleich doppelt. Einmal traute er diesem jungen Ehrgeizling nicht und war sich sicher, dass dieser ihn bei der erstbesten Gelegenheit über den Löffel barbieren würde. Zum anderen – und das machte ihm viel mehr zu schaffen – über seine Not, die ihn dazu trieb, zum Bittsteller zu werden. Kevin Schmidt hatte die ganzen letzten Wochen – seitdem man wusste, dass die Delegation nach Hamburg kommen würde – so geheimnisvoll getan. Hatte alle wichtigen Präsentationsunterlagen entweder nur häppchen- oder dann wieder tonnenweise an ihn übergeben. Nicht zuletzt hatte er ihm die Stunden Nachtarbeit zu verdanken, denn James war sich bis zum Schluss nicht sicher gewesen, ob Schmidt ihm wirklich zuarbeitete oder aber versuchte, ihn alt aussehen zu lassen. Dabei war er, James, immer höflich aufgetreten und hatte es auch nicht an kollegialer Freundlichkeit fehlen lassen. Doch dieser Schmidt war wie teflonbeschichtet. Und das trotz seines jungen Alters.
14:38 Uhr
James musste niesen. Hatte er sich womöglich auch noch was eingefangen? Und zu all diesem Ungemach, den Peinlichkeiten der für James im hohen Maße unangenehmen Situation kam die Ungewissheit hinzu. Er kannte seine Bella. Sie war viel zu gutmütig und verträumt. Er traute ihr keine zehn Minuten Freiheit zu, ohne dass sie im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder kam. „Shit“ rief er aus und sah der Schwade warmen Atems zu, die er dabei ausstieß. Er würde mindestens noch 45 Minuten zum Verlag brauchen. Bei den Witterungsverhältnissen womöglich länger. Sein Handy klingelte. Mit vor Kälte zitternden Fingern griff er in die Jackentasche: Manfred März. Und obwohl er darauf überhaupt keine Lust hatte, nahm er das Gespräch an…
„James?“, März klang leicht hysterisch. Er hatte eine gurgelnde Stimme, was immer dann geschah, wenn ihm etwas sauer aufstieß. Soweit kannte James ihn schon. „Ja?“ „Wo um Himmelswillen sind Sie?“ „Altonaer Straße“ „WAS?!“ März schluckte hörbar mehrfach, dann schrie er – nur fünf Worte: „SIE KOMMEN JETZT SOFORT HIERHER!“ James hielt das Smartphone weg von seinem Ohr. „Mache ich. Hat´s Ihnen Schmidt nicht gesagt? Ich bin gleich bei Ihnen. Fast pünktlich…“
Keuchen, schlucken und wieder ein leichtes Gurgeln am anderen Ende der Leitung. „ABER DALLI. 15 UHR HABEN WIR GESAGT! 15 UHR!“ James antwortete nicht. „SIND SIE ETWA ZU FUSS UNTERWEGS?“ „Ja…“ „DANN SCHNAPPEN SIE SICH SOFORT EIN TAXI!“ Manfred März hörte sich an wie einer dieser alten Sportreporter aus den fünfziger Jahren. James sagte gar nichts mehr. Was sollte er auch sagen? Deshalb drückte er das Gespräch weg.
James sah sich um. Weit und breit kein Taxi. Eine lange Schlange mit Fahrzeugen schleppte sich durch die Straßen. Die meisten hatten wohl ihren ersten Schneeschock überwunden. Gut dran all diejenigen, deren Auto noch Winterbereifung hatte. James wählte die Nummer eines Taxianbieters: Warteschleife. Dann die Nummer eines zweiten: Warteschleife. Dann die von Franka Kruse. Nach einem Augenblick hörte er ihre Stimme: „James? Hallo? Oh wie gut, dass Sie mich anrufen. Mein Handy fällt dauernd aus… Ich…“. Kurze Stille. Rauschen. „… und das schaffen wir nicht mehr.“ Wieder Stille. „… deshalb direkt in den Verlag!“ James horchte angestrengt. Er hatte das Telefon in die linke Hand genommen, um der rechten etwas Wärme in der Hosentasche zu gönnen. „Franka. Können Sie mir ein Taxi rufen? Bin gleich Max-Brauer-Allee, Höhe Stresemannstraße, und muss schnell in den Verlag“ Er horchte, doch die Verbindung war anscheinend abgebrochen.
James kam an einigen Schaufenstern vorbei, die noch immer Weihnachtsdeko hatten. In jeder anderen Situation hätte das etwas Heimeliges gehabt. Nicht so heute. Heute zeigte es ihm lediglich, dass er so was von zu spät war. James steigerte noch mal das Tempo. Obwohl das nicht viel brachte. Zu tief war der Schnee. Langsam begannen seine Beine zu schmerzen, denn er war solche Kraftanstrengungen gar nicht mehr gewohnt. Da klingelte das Telefon wieder. Eine unbekannte Nummer. Sollte er ran gehen? Na gut… James blieben stehen.
„Hier Bridge.“ Einen Augenblick passierte gar nichts. James hörte, wie jemand mit Papier raschelte. Er wollte schon auflegen, da meldete sich eine Frauenstimme: „Bridge? James Bridge?“ „Ja. Das bin ich“ „Der James Bridge von Facebook?“ James wusste nicht was das sollte: „Wie bitte? Facebook?“ „Ja, der mit Bella?“ Allmählich dämmerte es ihm. Facebook! Die beiden aus der U-Bahn von vorhin. Der Rundruf…
Als der Groschen endlich fiel, rief James in das Gerät: „Ja. Ja. Das bin ich. Der Mann mit Bella!“ Doch im selben Moment erwischte es ihn eiskalt: „Oh! Ist etwas passiert? Haben Sie sie? Wo ist sie?…“ „Augenblick… lassen Sie mich doch erst einmal aussprechen“, die Frau klang jung und leicht amüsiert, versuchte aber sachlich zu bleiben: „Hier hat ein Tierheim einen Hund abgegeben, der so aussieht wie der auf dem Foto. Wissen Sie? Meine Freundin fragt bei solchen Sachen immer bei uns in der Praxis an…“ „Praxis?“ „Ach so, Verzeihung. Meine Name ist Fuchs. Tierarztpraxis Dr. Sauer. Wir wissen aber…“
James Gedanken überschlugen sich. „Sauer?“ „Ja, wie Süß“ „Äh?“ James zögerte… „Wir haben hier einen Hund. Einen Griffon. Allerdings…“ „Wo sitzen Sie? Kann ich zu Ihnen kommen?“ James war ganz aufgeregt. „Aber Herr Bridge, lassen Sie mich noch…“. „Nein kein Problem. Ich komme sofort! Wie ist die Adresse?“ Frau Fuchs beschrieb ihm den Weg. Endlich schien sich das Glück wieder einzustellen. Die Praxis war ganz in der Nähe des Altonaer Bahnhofs, also direkt auf seinem Weg. „Ich hole sie ab. Geht es ihr gut?“ „Ähm, der Hund wurde angefahren…“ „WAS?! ANGEFAHREN?“ „Ja, aber er hatte Glück im Unglück. Die Frau Doktor hat ihn gerade auf dem OP-Tisch…“ „Oh je, OP?“ „Ja“ „Ich komme sofort“ Noch ehe die Assistentin etwas erwidern konnte, hatte er aufgelegt.
14:44 Uhr
James lief im leichten Dauertrab, soweit ihm dies möglich war. Sein Keuchen wurde immer lauter. Da klingelte das Handy erneut. James musste etwas wühlen, dann hatte er es am Ohr. „James?“, hörte er seine Mutter rufen. „Mum?“ „James, Du klingst so komisch… läufst Du etwa?“ Eine Sekunde überlegte er, ob er Mary abwimmeln sollte, doch dann schilderte er ihr keuchend was los war: „Mum, sie haben Bella. Sie lebt. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Sie wird gerade operiert!“ „Oh James… Wo bist Du gerade?“ James schaute sich um. „Auf der Max-Brauer. In einigen Minuten komme ich zur Kreuzung Holstenstraße…“. Mary stöhnte: „Meine Güte, James, was machst Du nur für Sachen!“ „Mum, … nicht jetzt.“ „Gut. Wir holen Dich!“ „Wir?“ „Ja, Herr…“ James hörte Mary leise tuscheln „…Herr Frese und ich!“ „Mum? Du meinst doch nicht den Frese…“. „Doch genau den! Du glaubst doch nicht, dass ich tatenlos zuhause sitze. Walter war so freundlich, mich mitzunehmen. Wir sitzen gerade in seinem Auto. Wir sind Dir nachgefahren!“ James wollte gerade zu schimpfen beginnen, doch dann erkannte er den Wert der Information. „Prima Mum. Ich warte auf Euch. Bei der Bushaltestelle, Ecke Holstenstraße. Aber… beeilt Euch!“
James lief bis ihm die Lungen schmerzten. Doch mit einem Mal spürte er vollkommen neue Kraftreserven. Bella lebte und so wie es aussah, ging es ihr gut. James rannte und rannte, rannte und rannte. Und für einige wenige Minuten hatte er den Verlag, den Termin, die Präsentation, die Delegation, ja selbst Kevin Schmidt vergessen.
14:56 Uhr
James erreichte die Bushaltestelle. Auch hier sammelten sich die Menschen. Der Straßenverkehr löste sich anscheinend auf. Noch floss er nicht normal, doch die Autos fuhren wenigstens mehr als dass sie herumstanden. Und tatsächlich: Nach kurzer Zeit hielt vor James ein weißer Mercedes C-Klasse. Ein Fenster wurde heruntergefahren und er sah seine Mutter, die ihn hastig heranwinkte. James stieg ein, setzte sich auf den Rücksitz und schon ging´s los.
„Herr Frese, ich kann gar nicht sagen, wie…“. „Das müssen Sie auch nicht, denn ich will jetzt gar nichts von Ihnen hören“, gab sein Nachbar mürrisch zurück. Mary warf ihrem Sohn einen vielsagenden Blick zu. „Herr Blidge…“. „Bridge“, rief Mary. „Ist ja auch egal. Nur eins ist wichtig. Sie fassen in diesem Auto nichts an! Verstehen Sie? Haben Sie saubere Hände?“ „Wie bitte?“ „Sie haben mich genau verstanden…“ „Aber selbstverständlich…“. „Dann ist alles gut“, blaffte Walter Frese ihn an. Das konnte ja heiter werden. „Wo geht´s hin?“, die schnippische Stimme von Herrn Frese klang kälter als Eiswürfel in einem Eskimo-Drink. „In die Schmarjestraße. Das ist ganz in der Nähe…“ „Ich weiß selbst wo das ist: Navi“, knurrte Walter Frese und zeigte mit dem Finger auf ein Display, das den Ausschnitt des Stadtplans zeigte. „Sie sagen einfach halt und wir halten an.“ „Jawohl Herr Frese.“ Peinliche Pause. Mary signalisierte James heimlich, dass er sich jetzt zu nichts hinreißen lassen möge.
„Herr Bridge…“, Walter Frese schien noch etwas auf Lager zu haben, was ihm gefiel. Denn er zögerte es noch einen kurzen Augenblick hinaus: „Tja, Winterreifen!“ James starrte angestrengt aus dem Fenster. Mary schmunzelte. Aber keiner erwiderte etwas. Immerhin fuhren sie und das war allemal besser als laufen.
15:01 Uhr
„Herr Frese. Da vorne ist es wohl. Ich sage Stop.“ Frese tat extra ein wenig begriffsstutzig: „Sagen Sie hiermit Stop oder erst gleich?“ Doch James reagierte nicht darauf: Er war viel zu aufgeregt. „So, das da. Das helle Eckhaus!“ Walter Frese stöhnte demonstrativ und brachte das Fahrzeug zum Stehen. „Hier ist zweite Reihe…“. „Wir machen das schon…“ Marys Stimme klang honigsüß aber doch gebieterisch – und sie war an Walter gerichtet. Dieser schien darauf anzuspringen, denn nach einem weiteren, langen Stöhngeräusch nickte er mit dem Kopf. „Geh James. Hol sie raus!“ James ließ sich das nicht zweimal sagen. Eine Sekunde später war er aus dem Fahrzeug und noch eine Sekunde danach schon im Haus verschwunden. „Wir kommen nach“, rief Mary noch hinterher.
In der Tierarztpraxis war es voll. Überall saßen Menschen mit ihren Hunden. Andere hatten bunte Boxen dabei, aus denen es herzergreifend maunzte. Und ein älterer Mann schaute besorgt in eine Pappschachtel voller Stroh. James ging zur Sprechstundentheke, an der eine junge Frau saß. „Frau Fuchs?“ „Ja?“ „Ich bin Herr Bridge. Wir haben telefoniert“ Die Assistentin schaute von einem Stapel Karteikarten hoch: „Ja, stimmt. Der Facebook-Hund.“ James huschte zum ersten Mal seit Stunden ein Lächeln über das Gesicht. „Ja, Bella!“ Frau Fuchs schaute ihn an, wobei sie die Stirn runzelte. „Es ist doch nicht etwa…?“ James machte jetzt einen erbärmlichen Eindruck. Außerdem keuchte er erheblich. Der Dauerlauf hatte ihn nachhaltig gefordert und seine Hände zitterten. „Nein, dem Hund geht´s gut. Frau Doktor ist eben fertig. Allerdings…“. Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment öffnete sich die große Schwingtür zum Behandlungszimmer und heraus kam eine kleine, drahtige Frau mittleren Alters, mit karottenroten Haaren: „Geschafft!“
Dr. Sauer wandte sich Frau Fuchs zu: „Ist das der Besitzer? Haben Sie es ihm gesagt?“ Die Ärztin zeigte nach drinnen: „Wollen Sie ihn etwa gleich mitnehmen?“ James wollte antworten, doch in diesem Moment ging die Tür der Arztpraxis auf und Mary stürmte hinein, im Schlepptau Walter Frese: „JAMES!“ Mary rief so laut, dass sich alle nach ihr umdrehten. „Wer ist das?“ Dr. Sauer schaute ernst über den Rand ihrer Brille. „Ähm, das ist meine Mum…“, kam es betreten von James. Als wenn dies als Erklärung ausreichen würde, fuhr die Ärztin fort: „Also. Der Hund wurde angefahren. Er hat zwei Frakturen in den Vorderbeinen. Ein Knochen ist etwas gesplittert. Ich habe sie gegipst. Noch schläft er. Sie wissen, dass wir seit Jahren eine Chip-Pflicht haben? Er hat nicht mal eine Tätowierung. Und auch kein Halsband. Das ist verantwortungslos! Außerdem gibt es da noch etwas…“, Dr. Sauer schaute die kleine Gruppe streng an: „Wenn Sie mir bitte kurz folgen würden“.
James wollte gleich vorweg stürmen, doch weit kam er nicht. Aus dem Augenwinkel sah er noch, wie Herr Frese ihn überholte – dann wurde der Raum um ihn herum tiefschwarz.
Nur ein paar Momente später fand sich James auf einer metallenen Liege wieder. Sein Kopf brummte und er musste sich erst einmal orientieren. Wie aus einem Nachbaruniversum vernahm er die Stimme seiner Mutter: „James. James. James.“ Er spürte ihre Hand auf seiner Stirn. „Ich habe Dir doch gesagt, Du musst morgens anständig essen! Mit nur einem Toast im Magen kommt man nicht weit…“. Langsam wurde ihm klar: Er war in Ohnmacht gefallen und auf eine Liege verfrachtet worden. „Bella!“ rief er und machte einen Versuch auf die Beine zu kommen. Doch jetzt bemerkte er, dass er am ganzen Körper zitterte. „Sie bleiben bitte noch einen Moment liegen.“ Jetzt war es die Ärztin, die sich einschaltete.
„James.“ Er sah, wie seine Mutter auf die andere Liege zuging, auf der der Hund lag. Er schlief noch. Beide Beine waren blau bandagiert. Mary schaute erst auf den Hund, dann auf Frau Dr. Sauer, dann wieder auf den Hund und zuletzt zu James: „Du musst jetzt stark sein und darfst Dich nicht aufregen, aber das hier… das ist nicht Bella.“ Die Assistentin, die ihnen gefolgt war, klärte die kleine Truppe auf: „Das wollte ich doch die ganze Zeit schon sagen. Es ist ein Rüde!“ James stieß einen Schrei aus: „BELLA!?“ Wieder versuchte er von der Liege zu steigen. Und hätte Herr Frese nicht eine für sein Alter bemerkenswerte Reaktionsgeschwindigkeit bewiesen, wäre James unsanft auf dem Fliesenboden aufgeschlagen.
15:12 Uhr
Die nächsten Minuten waren chaotisch. Erst brauchte es eine Weile, bis James realisierte, dass gar nicht sein Hund auf der Bahre lag, und dass Bella noch immer irgendwo da draußen herumirren musste. Mit einem Schlag kamen alle Erinnerungen an seine missliche Lage zurück. Ärztin und Assistentin setzten ihm auseinander, dass dieser Hund gleich wieder ins Tierheim verfrachtet werden würde. Dann wurden auch sie leicht nervös, denn ohne einen Besitzer blieben sie auf den Behandlungskosten sitzen. Es ging eine Weile hin und her, bis James mit einem mal einen Entschluss fasste, den keiner – nicht einmal die meisten der lauschenden Tierhalter im Warteraum – nachvollziehen konnte. James unterbrach das allgemeine Stimmengewirr mit einer Entscheidung, vielleicht nicht die beste und keinesfalls die nächstliegende: James verschaffte sich erst Geltung und dann Gehör, indem er zuerst die Kosten für die Operation übernahm, dann seine Mutter und zuletzt Frau Sauer und Frau Fuchs überredete, sich um alles zu kümmern. James hatte beschlossen, den Hund mitzunehmen. Auch wenn es nicht Bella war. Und nach einem kurzen Telefonat war auch das Tierheim damit einverstanden.
Der Hund bekam von alledem nichts mit, denn er war noch nicht bei Bewusstsein. Seine Zunge hing Mitleid erregend aus seinem Maul und er schnarchte laut.
Mary brauchte etwas, bis sie Walter Frese überredet hatte, nicht nur den fremden Hund in seinem Auto zu transportieren, sondern ihn sogar dorthin zu tragen. „Aber nur weil Sie es sind“, hatte der erwidert und das war James schon aufgefallen. Sollte etwa…?
Als die Drei auf die Straße traten, Walter Frese mit dem schnarchenden Knäuel in den Armen, wollte er sich jedoch nicht darauf einlassen, dass Mary seine Autoschlüssel aus der Hosentasche fischte. „So weit kommt´s noch!“ rief er und drückte dem noch wackeligen James den Hund in die Arme. „Das ist ja wohl jetzt Ihrer. Ich bin mal gespannt, wie Sie das anstellen wollen, falls Sie Ihre Bella wiederfinden. Zwei Hunde dürfen Sie bestimmt nicht in der Wohnung halten. Da werde ich mich mal erkundigen.“ „Ja, danke auch für die Hilfe“, gab James lakonisch zurück. „Oh schaut mal. Es hat aufgehört zu schneien“, versuchte Mary die Situation zu retten. Und tatsächlich. Der Himmel stand blau und klar über ihnen. Keine Wolke, keine Schneeflocken.
James schaute auf seine Armbanduhr. „Ich muss jetzt ins Büro. Die Präsentation hat schon begonnen!“ Er war als Erster im Auto. Den Hund hatte er neben sich gelegt. „Davon war aber nicht die Rede“, Walter Frese klang jetzt noch viel genervter als die ganze Zeit davor. Er drehte sich nach hinten und machte mit einem Mal ein Gesicht, als wolle er James an die Gurgel gehen: „PLASTIKPLANE! Legen Sie sofort den Hund auf die Plane! Unter dem Fahrersitz… Er darf auf keinen Fall auf dem Bezug liegen. Nachher übergibt er sich noch. Und die ganzen Haare…“ James holte die Plane hervor und zwang sie unter den Hund. Tatsächlich keinen Moment zu früh, denn kurz darauf lief dem Hund eine gehörige Ladung Speichel aus dem Maul. Wieder war es Mary, die den Zorn des Nachbarn bändigte: „Mein lieber Walter. Wenn Sie die Güte hätten? Mein Sohn muss unbedingt in den Verlag. Es geht um alles!“ James wollten noch etwas hinzufügen: „Herr Fresse, ich danke Ihnen.“ Schweigen. James sah von hinten, wie der Kopf von Walter Frese puterrot wurde. Doch zum ersten Mal hatte sein Nachbar nicht das letzte Wort, sondern startete brav das Fahrzeug.
„Sie sind ein Schatz, mein Lieber. Dafür gibt es eine Belohnung“, Mary warf Herrn Frese einen dankbaren Blick zu, den dieser mit einem lauten Räuspern beantwortete. James mochte sich in diesem Moment gar nicht ausmalen, was seine Mutter damit im Einzelnen meinte. Doch er war ihr dankbar. Sehr dankbar sogar.
In seinem Kopf drehte sich alles. James hätte seine Gefühle nicht beschreiben können. Doch jetzt ging es erst mal weiter: In die Höhle des Löwen.
Kapitel 11: Endlich